Freilichtbühne Bookholzberg

Auf den ersten Blick wirkt „Stedingsehre“ an der Apfelallee in Bookholzberg wie ein eigener, kleiner Ortsteil. Ein paar für die Region typische Fachwerkhäuser mit Reetdächern, Ruhe und Beschaulichkeit. Trotzdem: Es ein Ort mit einer geheimnisvollen Aura. Ein Wassergraben trennt das Häuserensemble von den Resten einer treppenförmig angelegten Tribüne. Die Anlage im Ganderkeseer Ortsteil ist eine ehemalige Kultstätte der Nationalsozialisten. Bei den Häusern handelt es sich um ein Spieldorf, um eine Kulisse. Die an ein antikes Theater erinnernde Tribüne fasste bis zu 10.000 Zuschauer. „Stedingsehre“ wurde im Jahr 1934 als großflächiges NS-Freilichttheater konzipiert und angelegt. Heute sitzt hier das Berufsförderungswerk Weser-Ems.

Die Gedenkstätte soll an den Stedingerkrieg in den Jahren 1233 und 1234 erinnern und wurde im Rahmen der 700-Jahr-Feier der Schlacht von Altenesch von den Nazis eröffnet. Schon ein Jahrhundert zuvor, 1834, wurde ein paar Kilometer entfernt auf dem St.-Veit-Hügel in Altenesch bei Lemwerder ein Denkmal für die Stedinger errichtet. Die Schlacht von Altenesch hat in der Region seit Jahrhunderten eine besondere Bedeutung und ist als einziger Kreuzzug auf deutschem Boden in die Geschichtsbücher eingegangen. Die Stedinger, ein stolzes Bauernvolk, wurden im späten 12. Jahrhundert vom Bremer Erzbischof eingesetzt, die Marsch zu bewirtschaften, was ihnen in den nachfolgenden Jahrzehnten einigen Wohlstand bescherte. Das war dem damaligen Bremer Erzbischof Gerhard II. nicht entgangen. Er wollte die Stedinger 1233 kurzerhand mit Steuern gefügig machen. Die Stedinger aber wehrten sich erbittert gegen die Pläne des Erzbischofs. Gerhard II. griff zum letzten Mittel und bezichtigte die Bauern beim Papst der Ketzerei. Dieser erlaubte schließlich den Kreuzzug gegen die vermeintlich Abtrünnigen. 1234 kommt es zur Schlacht von Altenesch: 2000 Stedinger Bauern stehen einer Übermacht von 8000 Kreuzrittern entgegen. Die heldenhaften Stedinger werden vernichtend geschlagen.

700 Jahre später passt der geschichtliche Stoff von wehrhaften Bauern, die sich im tragischen Kampf tapfer schlagen, nur zu gut ins Konzept des NS-Regimes und zur „Blut und Boden“-Ideologie von Rasse und Siedlungsgebiet. Carl Röver, der Reichsstatthalter von Oldenburg und Bremen, hatte den beliebten Oldenburger Heimatschriftsteller August Hinrichs beauftragt, die Geschichte der Stedinger als Theaterstück zu verfassen. Hinrichs wurde mit einigen Komödien auf Plattdeutsch, Festspielen und Romanen als niederdeutscher Autor bekannt. Die Nationalsozialisten nutzten seine Popularität.
Zur 700-Jahr-Feier der Schlacht von Altenesch wurde am 27. Mai 1934 an historischer Stätte und unter Beisein zahlreicher NS-Größen das Stück „De Stedinge – Spiel vom Untergang eines Volkes“ uraufgeführt. Aufgrund der Begeisterung für den Stoff wurde eigens eine Freilichtbühne gebaut. Heinrich Himmler und Alfred Rosenberg wohnten der Grundsteinlegung im Oktober 1934 bei.

„Stedingsehre“ war damit eins von zahlreichen Freilichttheatern, die um die Mitte der 1930er Jahre als so genannte „Thingstätten“ reichsweit errichtet wurden. Sie dienten vor allem auch als Feierstätten für Großkundgebungen und Propagandaveranstaltungen. Oftmals vor einer beeindruckenden und malerischen Naturkulisse aufgebaut, im Wald, an Felswänden oder auf freiem Feld, boten diese Orte eine entsprechend faszinierende Stimmung und strömten die Art von Mystik aus, die das NS-Regime bei ihren kultischen Massenveranstaltungen inszenieren wollte.

Die Freilichttheater des Dritten Reiches sollten an die überlieferten Theaterformen der Antike erinnern. Auch bei „Stedingsehre“ wird das deutlich: Die Zuschauertribüne ist stufenförmig aufsteigend leicht in den Hang gebaut. Außerdem trennte ein vorgelagerter Wassergraben die Zuschauertribüne von der Bühne. Um 1937 wurde für den weiteren Ausbau der Stätte geworben. Für 2, 5, 10 und 20 Reichsmark konnten die Bürger Bausteine für die „Stedingsehre“ erwerben und so tatkräftig am Erhalt und am Ausbau des Theaters mitwirken. Zu dieser Zeit besteht das Theaterdorf aus einer Kirche und insgesamt 9 Bauernhöfen. Zu den Aufführungen von 1934 – 1937 sollen bis zu 230.000 Zuschauer gekommen sein. In den Jahren ab 1937 geriet die Theaterfunktion in den Hintergrund und „Stedingsehre“ wurde für großangelegte NS-Propagandaveranstaltungen genutzt.

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